Stadtgeschichte

Amuthon - Embden - Emden. Die wechselvolle Geschichte der Stadt Emden

1875 bis 1933

Die Hafenstadt am Dollart rückte in den Focus der preußischen Politik durch die Marineambitionen von Kaiser Wilhelm II. In seiner Regierungszeit fiel der Bau des Ems-Jade-Kanals als strategische Wasserverbindung (1888), mit dem der Bau der Kesselschleuse einherging (1886/1888). Diese Wasserbauten veränderten das Entwässerungssystem der Stadt Emden und ihres Umlandes.

Bereits Ende der 1870er Jahre hatte Preußen den Emder Hafen übernommen. Dieser Hafen sollte nach dem Konzept der "neuen deutschen Rheinmündung" die Rolle eines Ein- und Ausfuhrhafens des Ruhrgebiets übernehmen und mit den Häfen von Rotterdam und Antwerpen konkurrieren. Dazu war ein großzügiger Ausbau des Hafens erforderlich, der bis 1902 abgeschlossen war. Eine besondere Rolle bei der Umsetzung der Pläne spielte der im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten angestellte Carl Schweckendiek, ein gebürtiger Emder, dessen Vater Direktor des Wilhelms-Gymnasiums war. Der Bau der Großen Seeschleuse bis 1913 sollte eine weitere Vergrößerung ermöglichen. Neben der Eisenbahn sollte der Dortmund-Ems-Kanal (1899) für den reibungslosen Ablauf des Güterverkehrs mit dem Ruhrgebiet sorgen.

Zur treibenden Kraft der Modernisierung und Industrialisierung wurde der aus Thüringen stammende Oberbürgermeister Leo Fürbringer (1875 – 1913). Fürbringer betrieb beim Kaiser und bei der preußischen Regierung eine eifrige Lobby für die Entwicklung Emdens. Sein Ziel war die Ansiedlung von Schwerindustrie im Bereich des Hafens, wo Ruhrkohle auf schwedisches Erz treffen sollte. Aus der malerischen und verträumten Stadt sollte eine florierende Industriestadt werden. Er schuf eine moderne städtische Infrastruktur mit neuen Straßen (z.B. Ringstraße), leitete eine großzügige Stadtplanung ein und schuf durch Siedlungsbau die Grundlage für eine zunehmende Bevölkerung, die im Hafen und der Industrie Arbeit finden sollte.

Dass das aktive Engagement nicht ohne Risiko war, bewies die von Fürbringer initiierte Beteiligung der Stadt Emden bei den Nordseewerken. 1903 gegründet geriet die Werft bald wegen einer Wirtschaftsflaute in Schieflage und in Konkurs. Die Luxemburgische Bergwerks- und Hütten AG erwarb 1911 die Werft. Dennoch führte das Engagement zur hohen Verschuldung der Stadt Emden. Auch das Industrieprojekt Fürbringers konnte nicht verwirklicht werden. Die Ruhrindustrie sah in einer Emder Eisenhütte eine unerwünschte Konkurrenz und somit blieb vieles im Ansatz stecken.

Im letzten Amtsjahr Fürbringers besaß Emden zwar einen modernen Hafen, aber er war nicht ausgelastet und stand einer übermächtigen Konkurrenz der etablierten Häfen Bremens und Hamburgs gegenüber. Auch mit Rotterdam oder Antwerpen konnte sich Emden nicht messen. Gleichwohl hatte sich Emden zur Industriestadt gewandelt. Arbeiter machten einen großen Teil der Bevölkerung aus. Zu ihrer Unterbringung errichteten die Stadt Emden und die Nordseewerke Arbeitersiedlungen (Transvaal, Port Arthur: 1900 – 1907; Friesland: 1914). Mit der Zunahme der Arbeiterbevölkerung stieg der Einfluss von Sozialdemokratie und Gewerkschaften. Zahlreiche Streiks kennzeichneten die Konflikte zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern. Das Klassenwahlrecht verhinderte allerdings eine starke Vertretung der SPD im Stadtparlament.

Die Ära Fürbringer war insgesamt von einer liberalen Grundhaltung geprägt. Der nationalliberale Oberbürgermeister ging gegen die Diskriminierung von Minderheiten vor, insbesondere gegen den Antisemitismus. Seine Wertschätzung der jüdischen Gemeinde dokumentierte er durch seine Anwesenheit und der Grußrede bei der Einweihung des Erweiterungsbaus der Synagoge 1911.


Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 unterbrach die Entwicklung des Emder Hafens und der Industrie. Die Nordseewerke wurden Teil der Kriegswirtschaft. Bis 1916 entstand ein ausgeklügeltes System der Rationalisierung der Lebensmittel und der Güter des täglichen Bedarfs. Gleichwohl konnte dieses System den durch die Fernblockade der britischen Flotte verursachten Mangel an Getreide etc. nicht beheben, und es sorgte nicht für eine gerechte Verteilung der Lebensmittel. Die Bevölkerung litt Hunger und im Laufe des Krieges nahm die Verarmung zu. Zunehmende Verluste an Soldaten sorgten für weitere Kriegsmüdigkeit unter den Arbeitern. Im Bürgertum überwog der Patriotismus. Viele investierten ihr ganzes Vermögen in Kriegsanleihen.

Als am 9. November 1918 das Kaiserreich zusammenbrach, war das für viele Bürger ein Schock, obgleich die Anzeichen für die Niederlage der kaiserlichen Armee schon im September und Oktober 1918 sichtbar waren.

Der offizielle Beginn der Novemberrevolution in Emden war der 9. November 1918. An diesem Tag versammelten sich Arbeiter und Bürger auf dem neuen Markt zu einer Kundgebung mit dem MSPD-Reichstagsabgeordneten Davidsohn aus Berlin. Analog zur Entwicklung im gesamten Deutschen Reich bildete sich in Emden ein Arbeiter- und Soldatenrat. Er stellte sich neben der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Dr. Wilhelm Mützelburg (1913 - 1933). Den Räten gelang es nicht, das Heft des Handelns an sich zu ziehen. Die auf Reichsebene gefällte Entscheidung für eine verfassungsgebende Nationalversammlung stellte sie ins Abseits. Verhängnisvoll wirkte sich die seit 1915 eingetretene Spaltung der Arbeiterbewegung aus. Der MSPD standen USPD und der Spartakusbund, aus dem die KPD hervor ging, gegenüber. In Emden waren die Arbeitersiedlungen Transvaal und Port Arthur Hochburgen der KPD. Die Räte blieben in Emden eine kurze Episode. 

Im März 1919 wurde über der Stadt der militärische Ausnahmezustand verhängt. Torpedoboote der eisernen Flottille ankerten im Hafen und Reichswehreinheiten rückten in die Stadt ein, um einen kommunistischen Aufstand zu unterbinden.

Bis 1921 wurde die Bewirtschaftung von Lebensmitteln fortgeführt. Die Demobilisierung verursachte zunächst eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, die durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (z.B. Bau der Häuser am Strohdeich, Petkumer Straße) bekämpft wurde. 1921 profitierte der Emder Hafen von einer Sonderkonjunktur. Abwrackunternehmen erzielten durch Entfestungsmaßnahmen und die Stilllegung von Rüstungsindustrien hohe Gewinne.

Zur Verbesserung der Versorgungslage hatte die Stadtverwaltung bereits während des Krieges einen Ausbau der Heringsfischerei angestrebt. Sie hatte seit 1890 eine Expansion erfahren, war aber durch das Aus der "Neptun"-Heringsfischerei (1914) in ihrer Bedeutung geschrumpft.

Die wirtschaftliche Lage der frühen 1920er war durch eine zunehmende Inflation geprägt, die sich in den Kriegsjahren anbahnte. Das Reich hatte die Kriegsanstrengungen durch Anleihen und durch die Notenpresse finanziert. Im Versailler Friedensvertrag vom Juni 1919 musste sich das Reich verpflichten, hohe Reparationssummen zu entrichten. Auch das geschah mit Hilfe der Notenpresse. Zunächst war die Inflation eine Stimulation für den deutschen Export, aber als infolge der Ruhrbesetzung im Januar 1923 die Entwertung der Mark rasant voranschritt, kam es zur hohen Arbeitslosigkeit und Verelendung. Weite Teile des Bürgertums verloren ihr Vermögen, weil sich Kriegsanleihen in Nonvaleurs verwandelt hatten.

Im Sommer 1923 kam es zu  Unruhen, als die Mark als Zahlungsmittel von den Ladeninhabern nicht mehr akzeptiert wurde. Der Dollar galt nun als Zweitwährung. Im September 1923 führte die Reichsregierung eine Währungsreform durch. Die wertlose Mark wurde durch die Rentenmark und 1924 durch die goldgedeckte Reichsmark ersetzt. Zugleich kam es durch den Dawes-Plan zu einer ersten Regelung der Reparationsfrage.

Die Phase zwischen 1924 und 1929 war in Emden durch einen leichten Aufschwung geprägt. Dennoch blieb die Arbeitslosigkeit hoch. Oberbürgermeister Dr. Mützelburg initiierte zusammen mit Stadtbaurat Haasis Bauprojekte (Chinesentempel, Herrentorschule 1930 – 1931), um den Arbeitsmarkt zu beleben. Eine Verbesserung der Beschäftigungslage sollte auch durch eine aktive Wirtschaftsförderung erreicht werden. Diese wurde zum Beispiel durch die Schaffung eines  Zentralviehmarktes, durch Förderung der Heringsfischerei und Förderung des Tourismus angestrebt.

Die politische Lage blieb weiter angespannt. Den republiktragenden Parteien (SPD, DDP) standen radikale Kräfte (KPD, DNVP) gegenüber, die eine Obstruktionspolitik betrieben. Der Schwarze Freitag am 24. Oktober 1929 löste die Weltwirtschaftskrise aus. Infolge dieser Deflationskrise nahm die Arbeitslosigkeit rasch zu. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte und als kurzfristige Anleihen, mit denen die Stadt Emden viele Vorhaben auf langfristiger Basis finanziert hatte, gekündigt wurden, nahm das strukturelle Defizit immer größere Ausmaße an. Der Magistrat suchte durch Einsparungen, die Zahlungsfähigkeit zu sichern. Sie verschärften allerdings die Verarmung. Zusammen mit der Arbeitslosigkeit war sie der Nährboden für politische Radikalisierung.

1930 wurden die Nationalsozialisten zur führenden Kraft der Rechten. Allerdings erhielten sie bis 1933 nicht die absolute Mehrheit der Stimmen. Im Februar 1933 konnten sie nur in einer Koalition mit dem bürgerlichen "Block Schwarz-Weiß-Rot" die Mehrheit im Bürgervorsteherkollegium erringen.

Zeittafel

1875Leo Fürbringer wird Bürgermeister.
1877/1913Leo Fürbringer wird Oberbürgermeister.
1880/88Bau des Ems-Jade-Kanals und der Nesserlander Kammerschleuse. Verlegung der Sielorte aus der Stadt. Emden ist tidefreier Hafen.
1886/88Bau der Kesselschleuse.
1886/87Tiefs und Teil des Ratsdelftes (Stadtgarten) werden zugeschüttet.
1889/91Beseitigung des Gasthaus- und des Neupfortsieles
1892Errichtung der Staatswerft. Baubeginn des Dortmund-Ems-Kanals, der eine Verbindung zwischen Emden und dem Ruhrgebiet darstellt.
1899Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals. Mehr Industrie in Emden. Hafenausbau für Massenumschlag von Erz und Kohle.
1900Industrialisierung; zunehmende Arbeiterbevölkerung; viele Streiks bis 1913
190230.07. Kaiser Wilhelm II. besucht Emden, um den Emder Außenhafen einzuweihen.
1903Gründung der Nordseewerke.
1913Eröffnung der Großen Seeschleuse; Wilhelm Mützelburg wird Bürgermeister bis 1933.
1914/181. Weltkrieg. Hafenumschlag sinkt auf ein Drittel des Vorkriegsstandes, Mangelbewirtschaftung. 531 Emder Soldaten fallen.
19189. November: Revolution. Arbeiter- Soldatenräte, Nationalversammlung, Republik. Bürgerrecht für alle Emder.
1920/28In Emden optimistischer Neubeginn in Wirtschaftsentwicklung, Schulpolitik und Wohnungsbau. Rückschläge durch Ruhrbesetzung und Inflation. Im Wirtschaftsaufschwung.
1924/28Fehlschläge in der Emder Wirtschaftsentwicklung
1928Wahlgewinne der Rechtsparteien. Bürgerliche Mehrheit in Emden beginnt sich aufzulösen. Gründung der Emder NSDAP.
1929Emder Hochseefischerei und der Fischmarkt stellen Betrieb ein.
1930Herrentorschule eröffnet.
1933"Gleichschaltung" des öffentlichen Lebens. Ende März: Judenboykott, Kommunistenverfolgung, Berufsverbote. 2. Mai Gewerkschaftsverbot. Nur noch NSDAP im Bürgervorsteherkollegium. 16. Oktober: Oberbürgermeister Mützelburg wird misshandelt und entlassen.